Ziele

Ziel unserer multilateralen Begegnung war es zum einen, den “Kampf gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit” in den verschiedenen Nationen zu diskutieren sowie das “europäische Bewusstsein” der verschiedenen Nationen zu hinterfragen und im Laufe des Camps bestehende Vorurteile, Hemmschwellen und Problemstellungen diese beiden Themen betreffend aufzuzeigen, abzubauen und somit zu bearbeiten. Nach unserer Einschätzung ist für unsere Bearbeitung dieser sehr komplexen und tief greifenden Themen ein positives Resümee zu ziehen. Um dies aufzuzeigen, muss man die Besonderheiten und sehr verschiedenen Herangehensweisen der Nationalitäten im Einzelnen beleuchten, um dann die Verknüpfungen besser nachzuvollziehen.

Es bestand die deutsche Gruppe aus sehr aufgeschlossenen Jugendlichen zwischen 16 und 20 Jahren. Die Problematik der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland war ihnen geläufig und sie hatten großes Interesse daran, an Lösungen dieses Problems zu arbeiten. Vor allem im Austausch mit den anderen europäischen und zukünftigen Mitgliedern der europäischen Union zeigten sie großes Interesse und waren in vielen bestehenden Problemstellungen stets darauf bedacht, den Dialog mit den anderen zu suchen. Die einzelnen Interessengebiete der Teilnehmer ließen es sogar zu, sie in fast alle Angebote und Module aufzuteilen, um so in ihrer Kommunikation als nationale Gruppe an sich ein größtmögliches Spektrum an Evaluation über das Erfahrene für sich zu sammeln. Man erwähne dabei besonders, dass die Funktion der “Brückentätigkeit” zu großen Teilen von den Deutschen übernommen wurde, in dem sie u.a. ins Englische oder Russische übersetzten, die Verknüpfungen der verschiedenen Module und Workshops immer wieder zum Diskurs brachten und schlicht und ergreifend ein scheinbar unerschütterliches Engagement an den Tag legten. Als wir sie auf diesen Umstand in Anbetracht der Bedeutung Deutschlands in der EU hinwiesen, geographisch sowie ökonomisch, wurden sie sehr nachdenklich und ihnen wurde bewusst, wie wichtig in Zukunft eine aktive Auseinandersetzung mit diesen Themen auch über die eigene Landesgrenze hinaus sein würde.

Erfreut waren wir, dass von den deutschen Teilnehmern auch sechs Teilnehmer mit Migrationshintergrund gewonnen werden konnten. Ihre persönlichen Erfahrungen bezüglich Ausgrenzung sowie ihre Hoffnungen und Ängste in Bezug auf die europäische Union eröffneten viele neue Gesichtspunkte in den Diskussionen rund um das Thema. Sehr stark wurden die Deutschen als gastgebendes Land durch die rumänische Gruppe unterstützt. Wissbegierig und kontinuierlich nahmen die Jugendlichen, selbst zwischen 16 und 22 Jahren alt, an vielen Workshops, Modulen und Aktivitäten teil. Ihr Vorteil war anscheinend die Arbeit in Jugendcamps mit Deutschland in vergangenen Jahren. Sie waren offen und ihre Hemmschwelle zur Kontaktaufnahme war dementsprechend gering. Man kann in diesem Fall von einer wirklich erlebbaren und nachvollziehbaren Entwicklung der Länderarbeit sprechen, denn einige der Rumänen sowie auch einige der deutschen Teilnehmer waren schon in den Jahren zuvor Teil unserer Jugendbegegnungen. Ihre Entwicklung in Verständnis- und Kommunikationsmethoden mit den anderen Nationen war nicht von der Hand zu weisen.

Waren die rumänischen Teilnehmer einst noch schüchtern und ein wenig schwarzmalerisch, wenn es um Inhalte unserer Diskussionen und individuelle Zukunftsperspektiven ging, so wirkten sie jetzt mutig und enthusiastisch, was dies anging. “Die Probleme zeigen wir auf, um sie anzugehen” war ihr Motto. Gerade diese Einstellung hat uns sehr geholfen und die anderen Teilnehmer in höchstem Grade motiviert. Sie selbst sprachen gutes bis sehr gutes Englisch und konnten sich somit gut verständigen. Interessant und für uns neu waren die von einigen rumänischen Teilnehmern beschriebenen Tendenzen in Rumänien, welche sich fremdenfeindlich gegen die ungarischen Einwanderer und die ungarische Minderheit an sich richten. Die interessanteste, wenn auch aus unserer Betrachtung heraus schwierigste Gruppe, waren die Teilnehmer aus Polen. Sie bestanden größtenteils aus weiblichen Heranwachsenden im Lebensalter zwischen 18 und 22. Ihre Heimat Polen war vom Austragungsort gerade mal 30 Kilometer entfernt, wenn man aber die Lebensweisen und ihre Wahrnehmungen hinsichtlich bestimmter Problemfelder betrachtet, wähnten wir ihre Heimat viel weiter weg. So kam es bei unserem Diskussionsabend um den Spielfilm »Der Pianist« zu Missverständnissen, da der Film zu großen Teilen im Warschauer Ghetto spielt und ihnen nicht klar war, warum gerade dieser Schauplatz für Vorurteile, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gewählt wurde. Erst in langen Gruppen- und Einzelgesprächen konnten sie verstehen, dass gerade die Verbrechen der Deutschen in Polen aus der Vergangenheit eine historische Pflicht unserer Generation erzeugt, sich mit dieser schrecklichen Vergangenheit in Zeiten des Friedens auseinander zu setzten, um so etwas schon in seinen Ansätzen entdecken und bekämpfen zu können. Nichtsdestotrotz waren wir der Meinung, dass unverständlicher Weise die polnischen Teilnehmer diesen Beitrag als persönlichen Angriff auf sich selbst wahrnahmen. Ähnlich verlief es weiter. So kam es zu einem folgenschweren Missverständnis, als die Theatergruppe mit ihren Teilnehmern Vorurteile der verschiedenen Nationen untereinander auf Flipcharts visualisierte und eine Teilnehmerin die Vokabeln “prejudice” mit “traditions” verwechselte und die Vorurteile, die es aufzuzeigen galt, als Traditionen las. So kam bedauerlicher Weise zum Vorschein, dass das angegebene gute Englischverständnis der polnischen Teilnehmer gar nicht vorhanden war. Einige Teilnehmer sprachen lediglich ein wenig Englisch, fast alle sprachen allerdings ansatzweise bis gut Deutsch. Somit änderten wir unsere Kommunikation auf ein einfaches Deutsch/Englisch um die Polen besser zu erreichen. Und wieder wurde ein Abend mit Gruppen- und Einzelgesprächen auf dieses Missverständnis verwandt, nicht ohne vorher die Drohung der polnischen Teilnehmerinnen zu erfahren, dass sie sofort nach Hause fahren würden, was sie aber mit zunehmendem Verständnis für das Missverständnis revidierten.

Am folgenden Abend wollten wir die abendliche Diskussion auf einen Film beruhen lassen, den sich die Teilnehmer gemeinschaftlich aussuchen sollten. Die Mehrheit entschloss sich, den Film »Life of Brian« von Monty Python anzusehen. Dies führte dazu, das wir diesen Abend damit verbrachten, in Einzel- und Gruppengesprächen den polnischen und streng katholischen Teilnehmern zu erklären, dass der Inhalt des Films eine Parodie sei und keineswegs ein Angriff auf die Polen und auf Katholiken, sondern lediglich auf humoristische Weise versuche, den teilweise gewaltvollen und paradoxen historischen Entwicklungsweg von Religion im Allgemeinen aufzuzeigen.

Diese Erkenntnis wurde dann weitergehend am nächsten Tag bei der 17-Uhr-Diskussion untermauert und wir erfuhren noch einmal eindringlich, dass in Polen niemand über das Thema Gott oder Jesus auch nur ansatzweise lachen würde. Dies ließen wir zunächst so dahingestellt, schließlich wollte man die religiösen und interreligiösen Konflikte erst einmal ruhen lassen, da wir mit dem Thema Rassismus in der Europäischen Union weiter kommen wollten. Wieder wurde das Gerücht laut, dass die polnischen Teilnehmer in die nahe Heimat zurückkehren wollten. Hier sei noch ein Problem genannt, welches wir in diesem Maße zum ersten Mal erlebten. Durch die Ausstattung der polnischen Teilnehmer mit Mobiltelefonen schienen sie ständig in Kontakt mit Ihren Eltern zu sein. Somit wurde ihre wiederholtes Überreagieren zu großen Teilen von den Familien mitbestimmt. Die Eltern allerdings konnten den Kontext unseres Camps schwerlich nachvollziehen und waren daher eher hinderliche Ratgeber, die uns die Arbeit erschwerten. Doch konnte dieses Problem später gelöst werden.

Dann kam es zum Höhepunkt der Missverständnisse. Um die lokale Situation anhand eines deutschen Beispiels zu beleuchten, luden wir uns eine Dozentin von der Mobilen Beratungsstelle Neubrandenburg ein, damit diese über Rechtsradikalismus in Vorpommern berichtet. Nun gab es kein Halten mehr. Die polnischen Teilnehmer erklärten uns, dass wir sie in das Zentrum von Fremdenfeindlichkeit und Verbrechen gelockt hätten und ihr Leben in Gefahr sei. Dies mag an dieser Stelle übertrieben klingen, was es mit Sicherheit auch war, aber das ist tatsächlich die Diskussion, die wir an dieser Stelle führten und – wie sollte es anders sein – natürlich nicht ohne die vorherige Beratschlagung der polnischen Teilnehmer mit ihren Eltern per Mobiltelefon.

Einige Stunden und interessante wie intensive Gruppen- und Einzelgespräche später konnte die Lage dennoch beruhigt werden und der Vortragsinhalt als ein Beispiel für eine rassistische Minderheit, wie es sie in jedem europäischen Land gibt, entlarvt werden. Somit galt die leibliche Sicherheit wie in den Wochen zuvor als gesichert. Was von den Teilnehmern nicht bedacht wurde, waren die scheinbar hysterisch alarmierten Eltern. Mindestens ein Elterpaar einer Polin ging am nächsten Morgen zur Organisationsleitung der Polnischen Partnerorganisation, schilderte die angeblich kriegsähnlichen Zustände im Jugendcamp und verlangte die sofortige Rettung ihres Kindes. Dies hatte zu Folge, dass unser Partnerverein seine Leiterin zu uns entsandte, um alle polnischen Teilnehmer in die Heimat zu holen. Diese aber wiederum waren an diesem sonnigen Tag gerade auf einem Spaziergang durch die Stadt Ückermünde mit einem Abstecher zum Freibad am Stettiner Haff und staunten nicht schlecht, als sie nach so vergnüglichen Stunden ins Camp zurückkehrten und erfuhren, dass sie gleich in Sicherheit gebracht werden sollten. Glücklicherweise waren jetzt alle bereit, in Gruppengesprächen, Beratschlagen und Kontaktieren der Eltern, das große Missverständnis aufzuklären und weiterhin an dem für sie mittlerweile interessanten Camp teilnehmen zu dürfen. Natürlich nicht ohne uns hoch und heilig zu versprechen, dass sie für den Rest der Zeit mit ihren Ängsten und Sorgen erst einmal zu uns Betreuern kämen, bevor sie Dritte hinzuziehen. Wir hatten an den nächsten Tagen noch Gespräche mit Vertretern von Bürgerinitiativen und Parteien der Region, die aktiv gegen Rassismus vorgehen.

Es konnten in den letzten Tagen unseres Camps schlussendlich doch alle polnischen Teilnehmer über die erlebten Verwirrungen herzlich lachen und ihren Humor und ihre neu erlangte Aufgeschlossenheit genießen.

Einen herben organisatorischen Rückschlag bekamen wir noch innerhalb der Vorbereitung, als plötzlich eine der Partnerorganisationen absprang und sehr kurzfristig Ersatz gefunden werden musste. Unter den teilnehmenden Nationen sollte eine irische Gruppe sein. Innerhalb der Vorgespräche stellte sich allerdings heraus, dass es dem angesprochenen Partnerverein leider nicht möglich war teilzunehmen. Dies wurde mit personellen Konsequenzen bei eventuell auftretenden Beschwerden begründet. Dies hieß für uns kurzfristig eine neue Organisation anzusprechen. Wir unterhielten uns im Verbund mit den polnischen und rumänischen Partnern darüber und kamen zu dem Schluss, dass es aufgrund der Dringlichkeit notwendig sei, bestehende Kontakte zu nutzen. So wurde unter Abstimmung mit den EU-Verantwortlichen ein Kontakt der rumänischen Organisation aus Tschechien eingeladen.

Die tschechischen Teilnehmer erschienen uns dann allerdings sehr rätselhaft. Sie nahmen eher distanziert an vielen Modulen und vor allem an den Diskussionen teil. Das Englisch der Teilnehmer war sehr gut, also konnten wir uns eigentlich perfekt verständigen. Sie interessierten sich auf eine besondere Weise für die organisatorischen und inhaltlichen Gespräche. Als wir sie fragten, was sie denn gern zum Thema beitragen würden, waren sie diejenigen, die den gemütlichen Teil der Campzeit bevorzugten, also Sport treiben und am Strand liegen sowie die Ausflugsangebote wahrnehmen wollten. Als wir ihnen sagten, dass wir sehr viel inhaltlich arbeiten wollten, schien dies eher mit Enttäuschung als mit Neugier aufgenommen worden zu sein. Aber dies außer Acht gelassen können wir abschließend nur feststellen, dass die Tschechen vermutlich ihre nationalen Probleme eher moderat betrachten und aufgrund der Kurzfristigkeit eher spontan Teilnehmer entsenden mussten, die scheinbar nichts beeindrucken konnte und auch nicht wirklich auf unsere Thematik hin ausgewählt wurden. Dennoch gaben sie viele interessante Impulse, als stets neutrale realistische Partei, und waren bei den wenigen aber umso schöneren Partys immer dabei.

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